„Männer und noch stärker Frauen hören heute mehr auf die innere Stimme des Körpers“

Ulrich Ladurner, Gründer und Präsident von Dr. Schär
Alex Filz/Dr. Schär

Ulrich Ladurner, Gründer und Präsident von Dr. Schär über die Anfänge des Unternehmens mit glutenfreien Produkten, Herausforderungen des US-Marktes, bessere Diagnostik und den Boom zu weizenfreier Ernährung.

Interview: Stephan Scoppetta

Herr Ladurner, sie sind Gründer des Unternehmens Dr. Schär, das heute einen Umsatz von rund 400 Millionen Euro mit glutenfreien Lebensmitteln für Zöliakie-Betroffene und spezielle Diätprodukte für Stoffwechselerkrankungen herstellt. Hätten sie sich das 1981 bei der Gründung erwartet?

Ulrich Ladurner: Nein, das hatte ich mir nicht erwartet. Im Moment der Gründung war es nicht wichtig, wie sich die Idee entwickeln würde, sondern wie ich mit dieser Idee ein gesundes Unternehmen bauen kann. Der tragende Gedanke bei der Gründung war: wir wollen die Besten sein. Wir haben viel in Innovation investiert, wobei der Konsument die größte Inspiration war und bleibt.

 

Wie sind sie auf die Idee gekommen, sich auf diese Nische zu konzentrieren?

Seit 1981 beschäftigen wir uns mit dem Thema „glutenfrei“. Ich hatte schon mehrere Felder im Kopf gehabt, der Leitfaden war damals schon gesunde Ernährung. Die zündende Idee zu Dr. Schär hatte ich während eines Interviews des lokalen TV-Senders TV Südtirol 1980. Geladen war auch der Kinderarzt Prof. Dr. Klaus Pittschieler, der darüber berichtete, dass er Eltern mit an Zöliakie erkrankten Kindern nur zu Kartoffeln und Reis für den Speiseplan raten konnte. Eine vollständig glutenfreie Produktlinie mit Lebensmitteln für Menschen, die an Zöliakie erkrankt waren, gab es noch nicht. Da wusste ich: Das werden wir machen, da werden wir uns engagieren.

 

Was waren in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts bei der Gründung die großen Herausforderungen? Themen wie Zöliakie waren damals sicher nicht so präsent wie heute?

Dem stimme ich nicht zu. Es war etwas anders: Für uns war das Thema Zöliakie in den 80er Jahren sehr präsent. Wir haben unsere Netzwerke aus Experten für Zöliakie und glutenfreie Ernährung aufgebaut: Ärzte, Vertreter der Zöliakiegesellschaften, Ernährungswissenschaftler und besonders Diätassistenten in den Kliniken. Schließlich sind sie der direkte Kontakt zu den Konsumenten. Eine besondere Herausforderung war der Vertrieb, der damals über die Apotheke, das Reformhaus beziehungsweise die Drogerie erfolgte. In Italien wurden die Händler direkt beliefert und dasselbe musste von Italien nach Deutschland und Österreich gemacht werden ‑ in Zeiten ohne Schengen und ohne offene EU- Grenzen war das ein großes Unterfangen.

Seit 2002 haben sie die internationale Expansion vorangetrieben. Mit großem Erfolg, heute sind sie in 11 Ländern vertreten. Macht das das Geschäft gerade im Lebensmittelbereich nicht komplexer, denn die Essgewohnheiten in den jeweiligen Ländern sind ja höchst unterschiedlich?

Dr. Schär ist weltweit in über 90 Ländern aktiv. Das ist eine unheimlich spannende Aufgabe für das Unternehmen und seine Mitarbeiter. Sich in den verschiedenen Ernährungskulturen zurecht zu finden, ist eine große Bereicherung. Heute sprechen wir von globalen Märkten. Voraussetzung dafür diese globalen Märkte zu verstehen, ist die Kenntnis des Regionalen. Denn der Ursprung eines globalen Trends, hat seine Wurzeln in einer Region. Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist die Pizza aus Neapel, die sich weltweit verbreitet hat.

 

Welcher Markt ist für Sie einer der herausforderndsten?

Eindeutig der Markt in den USA. Die Entscheidung in den USA zu investieren, haben wir zu einem Zeitpunkt getroffen, als das Thema „glutenfrei“ in den USA kaum Aufmerksamkeit besaß. Bei unserem Markteintritt in den USA, wären wir fast von einer Riesenwelle zum Thema „glutenfrei“ überrollt worden. In den letzten fünf Jahren sind wir aber hervorragend gewachsen und können unsere Position im Wettbewerb gut ausbauen.

In den vergangenen Jahren gab es einen regelrechten Boom, bei der glutenfreien Ernährung. Woran liegt das?

Glutenfreie Lebensmittel sind mittlerweile für den Verbraucher viel breiter verfügbar. Es handelt sich nicht mehr um ein rein diätetisches Lebensmittel. Einige Stars haben öffentlich bekannt gemacht, dass sie sich glutenfrei ernähren, um fitter zu werden und abzunehmen. Und es gibt Fachliteratur, die den Weizenkonsum in Frage stellt. All diese Faktoren haben den Boom genährt. Er hat sich allerdings wieder etwas gelegt. Es geht wieder stärker um funktionelle Argumente, wenn es darum geht Gluten zu vermeiden. Zöliakie ist ein Beispiel dafür. Sich glutenfrei zu ernähren, ist Voraussetzung für ein symptomfreies Leben. Ähnlich verhält es sich bei der Gluten-/Weizensensitivität: es geht darum sich gut zu fühlen und Symptome der Unverträglichkeit durch eine glutenfreie Ernährung abklingen zu lassen.

Sind die Unverträglichkeiten heute grundsätzlich mehr geworden oder werden diese einfach besser diagnostiziert?

Durch verbesserte Diagnostikmethoden und mehr Kenntnis werden Unverträglichkeiten und Zöliakie besser und schneller diagnostiziert. Wir sind noch nicht dort, wo wir sein sollten. Bis zu einem Prozent der Bevölkerung ist von Zöliakie betroffen. Daher ist die Tendenz stetig steigend. Ich glaube auch, dass eine gesellschaftliche Entwicklung in Richtung Individualität eine große Rolle spielt. So hören Männer und noch stärker Frauen auf die innere Stimme des Körpers ‑ und die stellt viele Fragen.

 

Auch die Ernährungsgewohnheiten der Menschen befinden sich in einem Wandel. Essen wir heute einfach gesünder?

Generell kann man nicht feststellen, dass man sich in Europa heute gesünder ernährt als in den vergangenen 40 Jahren seit dem Bestehen von Dr. Schär. Aber im Sinne der Lebensqualität haben viele verstanden wie wichtig es ist, sich gesund zu ernähren. Zwischen Verstehen und Umsetzen liegt jedoch ein weiter Weg.

 

Was sind aus Ihrer Sicht, die großen Trends in den nächsten Jahren in der Ernährung?

Die Rede ist viel von individueller Medizin. Davon leite ich ab, dass sich in Zukunft viel mehr Menschen auf das Besinnen, was ihnen gut tut. Das gilt besonders für Menschen im dritten Lebensabschnitt und hat etwas mit Lebensreife zu tun. Ein interessanter Trend ist die Digitalisierung der Medizin: Vieles wird schon heute über ein Videotelefonat mit dem Arzt oder dem Ernährungsberater geklärt – ohne dass sich Arzt beziehungsweise Experte und der jeweilige Patient zuvor in Echt gesehen hätten.

 

Wohin soll sich das Unternehmen Dr. Schär in den nächsten Jahren entwickeln?

Unser Leitmotiv heißt: „Innovating special nutrition“. Bei uns geht es um Ernährung, die auf ganz besondere Ansprüche eingeht. Der Erhalt der Gesundheit wird bei unseren Produkten nach wie vor im Vordergrund stehen. Aber auch die Teilnahme am geselligen Genuss ohne Kompromisse eingehen zu müssen. Auch die Ernährungswissenschaften machen große Fortschritte und daraus entstehen für uns spannende Aufgaben.

https://www.drschaer.com/de